| Hintergrund | Eindrücke | |
STAATL. KINDERHEIME | Hintergrund |
Die Situation in den rumänischen Kinderheimen ist europaweit immer noch ein angespanntes, sehr heikles Thema. Noch immer hat Rumänien mit den schrecklichen Bildern, die nach der Revolution um die Welt gingen, zu kämpfen. Der Wechsel des politischen Regimes hat die tragische Situation der Kinder in den Kinderheimen ans Licht gebracht. Die vom rumänischen Staat geführten Heime beherbergten bzw. beherbergen Waisenkinder und Kinder, deren Familien ihre Ernährung und Erziehung nicht gewährleisten können. Oft werden Kinder von Eltern oder alleinstehenden Müttern im Heim gelassen, weil sie dort zumindest durch regelmäßiges Essen und ein eigenes Bett besser versorgt sind. Die Situation in den Kinderheimen hat sich in den vergangenen zehn Jahren konsolidiert und deutlich gebessert. Dennoch ist es als Außenstehender und vor allem als Ausländer sehr schwierig ein Kinderheim anzuschauen. In meiner letzten Praktikumwoche hatte ich jedoch die Möglichkeit in Rahmen von IT das staatliche Kinderheim für behinderte Kinder in Lugoj zu besuchen. So hatte ich auch die Möglichkeit den Unterschied zwischen privater, kirchlicher sozialer Arbeit und staatlichen Institutionen zu sehen. Lugoj ist ein sehr großes Heim, welches aus mehreren Häusern für Buben und Mädchen besteht, und ist früher eines der "berüchtigten" Heime gewesen. IT hat drei Mitarbeiter dort stationiert, die dort mitarbeiten. Sie versuchen neue Methoden und Praktiken dort zu "importieren" um dieses ganze starre und geschlossene System etwas zu öffnen. |
STAATL. KINDERHEIME | Eindrücke |
Als wir nach einer ca. einstündigen Fahrt in Lugoj ankamen, war der erste Eindruck, den ich hatte, überraschend positiv. Das Areal der Heime ist sehr groß, mit vielen alten Bäumen bewachsenen und es existierte ein Kinderspielplatz. Im Haus selber wurden wir als erstes in das Therapiezimmer geführt, welches mit therapeutischen Behelfen und Spielsachen eingerichtet war. Auffallend war nur der Gestank, der im Haus herrschte. Eine Mischung aus Urin, Kot und einem ganz eigenen, erdrückenden Geruch, den ich schwer beschreiben kann. Nachdem uns dieser Raum, der vom IT-Team eingerichtet und bezahlt worden ist, gezeigt worden war, holten wir die Kinder zum Spielen. Die Zimmer, in denen die Kinder, die extreme Formen des Hospitalismus aufwiesen, vor sich hinvegetierten, waren überhaupt nicht möbliert, sondern nur mit weißen Stahlgitterbetten ausgestattet. In diesen lagen die Kinder oder sie waren in einem Rollstuhl befestigt. Die Befestigung war nicht nötig, um sie vor dem Herausfallen zu schützen, sondern damit sie überhaupt sitzen konnten. Denn bei vielen war die Muskulatur einfach zu schwach, um den Körper über einen längeren Zeitraum hinweg aufrecht zu erhalten. Die behinderten Kinder in Lugoj sind sowohl geistig als auch körperlich schwer beeinträchtigt und verkümmert. Teilweise sind sie bereits 16 oder17 Jahre alt, gleichen aber einem Vierjährigen. Ansonsten ist die Situation, die ich dort wahrgenommen habe, traurig und furchtbar. Die Kinder sind im Großen und Ganzen sich selbst überlassen. Es besteht keine Beziehung zu den Kindern seitens der "Pflegerinnen". Keines der Kinder kann sprechen, sondern nur schrille Laute von sich geben oder aber, und das war fast noch unangenehmer, sie waren einfach nur still. Sobald man den Kindern auch nur ein bisschen Aufmerksamkeit schenkte, klammerten sie sich mit einer Kraft an einen, die man ihnen nie zugetraut hätten. Und immer, wenn ich dachte, das Kind fühle sich gerade wohl oder freue sich am Spiel, setzte es extreme autoaggressive Verhaltensweisen, wie sich mit dem Kopf auf den Boden werfen, sich die Haare ausreißen oder sich mit einem Gegenstand auf den Kopf zu schlagen. Kurz darauf spielten sie weiter, als wenn nichts gewesen wäre. Auf die Frage, was denn mit den Kindern geschehe, wenn sie volljährig werden, bekam ich zur Antwort: "Dieses Problem stellt sich uns meist nicht, da kaum eines der Kinder dieses hohe Alter erreicht." In der ganzen Zeit, die ich dort verbrachte, sah ich nur eine Betreuerin (abgesehen von den IT-Mitgliedern), die sich wirklich um die Kinder gekümmert hat. Was die anderen Aufseherinnen taten, kann ich nicht genau sagen. Hier verwende ich bewusst die Bezeichnung der "Aufseherin", da ihre Tätigkeit auf keinen Fall in der Betreuung liegt. Die meisten der Angestellten sind auch schon älter gewesen (Mitte 50 ca.) und haben meist schon über 20 Jahre in diesem oder einem anderen Waisenheim gearbeitet. Und damals lautete ja die offizielle Berufsbezeichnung auch wirklich "Aufseherin". So kümmerte es auch niemanden, als ein älteres Kind fast nackt aus dem Haus gerannt kam und vor die Tür kotete. Am liebsten hielten sich die Kinder im Freien auf, was mir sehr lieb war, da ich den Geruch und die bedrückende Atmosphäre im Haus selber nur schwer aushielt. Die Kinder, mit denen ich mich beschäftigt habe, hatten es am liebsten, wenn man ihnen etwas vorsang und sie dabei leicht hin und her wiegte. Wobei sie Spiele wie "Hoppa hoppa Reiter" komplett ablehnten, da das schnelle Nach-hinten-Lehnen eine panische Angst in ihnen hervorrief. Was ja auch nicht weiter verwunderlich ist, denn damit Kinder dieses Spiel als lustig empfinden können, brauchen sie das Vertrauen, nicht fallen gelassen zu werden. Also etwas, das diese Kinder wahrscheinlich nie empfinden werden können, da sie ja schon in ihrem Urvertrauen extremst gestört worden sind. Als wir nach diesem Tag zum Kloster zurück fahren konnten, fühlte ich mich nur müde und leer. Kein anderer Tag in Rumänien war für mich so anstrengend wie dieser. Ich bewundere die Menschen, die dorthin jeden Tag mit neuer Freude arbeiten gehen und es sich zum Ziel gesetzt haben, Veränderungen zu bewirken. Sie haben sich ein großes Ziel gesetzt, aber schöpfen aus der kleinsten Veränderung Kraft und Durchhaltevermögen. So freute sich eine Mitarbeiterin wahnsinnig darüber, dass eines der Kinder die Hand leicht anhob, als wir den Raum betraten, während ich dies nicht einmal registrierte. Für mich persönlich muss ich sagen, ich könnte in dieser Einrichtung nicht arbeiten, da ich hier sicherlich an eine meiner (Belastungs-)Grenzen gestoßen bin. Nach diesem Tag fiel mir die Arbeit mit den Straßenkindern aber wesentlich leichter, da diese zwar ein Leben in unvorstellbarer Armut und Lieblosigkeit führen, aber trotzdem stecken sie voll Leben und Energie und kämpfen sich durch den harten Alltag. Sie sind voll Wut und Aggressionen, können sich aber auch freuen und Spaß haben... Für mich persönlich waren es die schrecklichsten und furchtbarsten Bilder von Rumänien. Diese trostlose und ausweglose Situation half mir wieder ein Stück weiter die Straßenkinder zu verstehen, die ihren eigenen Weg gehen. Hätte ich Lugoj nicht gesehen, wäre ich mit einem ganz anderen Eindruck nach Hause gefahren. Und wenn hier internationale Gremien, wie zum Beispiel die UNICEF von Fortschritten und Verbesserungen der rumänischen Kinderheimen berichten, so ist es für mich eigentlich nicht vorstellbar, wie die Situation unter Ceausescu gewesen ist. Ich glaube, dass es noch ein langer, mühsamer Weg ist, die Situation in den staatlichen Kinderheimen zum Wohl der Kinder zu verbessern. Ein Prozess, der nur schrittweise erfolgen kann und viel internationaler Unterstützung bedarf! |